Leseprobe Gayles Tales

Lust auf eine Leseprobe von Gayles TalesWenn Oma Gayle erzählt

Der hört nix

»Ice … Ice …«, klingt es über die Wiese und die Nachhaltigkeit und Strenge der Stimme nimmt zu. Alle schauen zum leicht genervten Frauli, und Indy gibt noch einmal Gas, um zu Ice zu gelangen. Vorsichtig stupst er ihn in die Seite, und ganz erstaunt schaut dieser erst zu Indy und dann zu Frauli. »Oh, hab ich nicht gehört«, entschuldigt sich Ice bei Indy, als er mit ihm zusammen zum entspannter wirkenden Frauli läuft. So schnell seine Füßchen ihn tragen, nähert er sich, bremst und steht kurze Zeit später vor ihr und setzt sein bestes und unschuldigstes Lächeln samt Zahnlücke auf. Der kritische Blick von Frauli verrät jedoch, dass sie sich so ihre Gedanken macht.

Wir setzen uns wieder in Bewegung und genießen unseren Spaziergang. Jeder hat so seine Vorstellung von dem, was man erleben möchte. Halvar begleitet uns nun schon recht regelmäßig und verlangt an manchen Tagen Queen Mom und Ice schon einiges ab. Nick schafft es immer wieder, sich aus der Affäre zu ziehen und sucht lieber das Weite oder übt sich in völliger Ignoranz. 

Indy ist hin- und hergerissen, er möchte gern, weiß aber oft nicht, was er mit dem kleinen Erdenbürger alles anstellen darf und kann. 

»Komm schon, lass uns fangen spielen«, quengelt Halvar und krabbelt Indy ins Gesicht, um seiner Bitte etwas mehr Nachdruck zu verleihen. 

»Nein«, gibt Indy knapp zurück. »Ich muss was beobachten.« 

»Was denn? Und wo denn?«, ruft Halvar ihm zu, während er vor seinem Gesicht auf und ab hopst.

»Auf Ice, der hört nix. Und wenn dann Autos kommen, muss ich ihm Bescheid sagen. Auch wenn unser Frauli meint, uns rufen zu müssen, muss ich unartig sein und zu Ice laufen, ihn anstupsen.« »

»Warum hört Onkel Ice denn nicht mehr? Ich finde, wenn ich ihn was frage, kann er mich gut verstehen und manchmal pfeift er durch seine Zahnlücke, das klingt dann sehr ernst. Meistens falle ich sicherheitshalber um. Er schaut dann immer nach mir und ich gebe ihm schnell einen Kuss auf die Nase. Dann weiß er, mir geht es gut. Aber so richtig verstanden, hat er mich also nicht?«

»Schau, Halvar, das ist so: Wenn Onkel Ice mit der Nase auf dem Boden nach spannenden Geschichten und Erzählungen der anderen Hunde sucht, dann braucht er sein Gehör, um den Geräuschen der Natur zu lauschen. Und er muss ja auch mitbekommen, wenn ein Auto zu uns will, ein Pferd oder ein Radelfahrer. All das könnte uns Ärger einhandeln und so gibt er Frauli Bescheid. Meistens steht er sehr schön rum und schaut angestrengt in die Richtung, aus der der Fremdkörper kommt. So kann Frauli entscheiden, was wir zu tun haben. So weit, so gut. Nur scheint Onkel Ice inzwischen ein Hörgerät zu brauchen. Töne, die ganz dunkel sind, hört er nicht mehr. Töne, die ganz hell sind, allerdings schon.«

»Es gibt bunte Töne? Ich möchte einen blauen«, fällt er Indy ins Wort. 

»Nein hell und dunkel nennt man die Tonlage. Pass auf … Wenn ich dir auf die Pfote trete …«, und Indy tatzt nach Halvars kleinen Pfote … 

»Aua …«, quiekt dieser. 

»Siehst du, das ist ein heller Ton. Und wenn du Onkel Ice wieder ein Bussi auf die Nase drückst, ohne dass er das mitbekommt, dann hörst du die dunklen Töne.«

»Ah, ich kann nur die hellen und Onkel Ice macht die dunkeln Töne«, nickt Halvar verstehend. 

»Nein, so ist das nicht«, hängt sich nun Nick mit in das Gespräch, der den Ausführungen seines Sohnes mit einem Lächeln zugehört hat. Gemeinsam stehen sie im Schatten an einem Büschel Gras, das eine eigene Geschichte erzählt. 

»Helle Töne sind sehr oft freudige oder solche, wie Queen Mom sie macht, wenn man sie nicht für voll nimmt. Wie ein Schreien der Vögel. Dunkle Töne gehören zum Unmut oder zum Ärger. Damit schüchtert man ein und sagt dem Gegenüber, dass man das nicht will, was er gerade macht, oder dass er sich gleich ganz schleichen soll«, belehrt Nick und wird von zwei Augenpaaren ungläubig angestarrt.

»Aber, Onkel Nick, du machst weder helle noch dunkle Töne. Du bist so …« 

»Ich bin beherrscht. Ich kann beide, aber nutze sie nur, wenn es unbedingt sein muss, folglich nur, wenn mal wieder jemand an unserem Haus parkt, wenn Menschen ihre kleinen Menschen in unser Schaufenster halten … dann versuche ich erst einmal, mit hellen Tönen auf das unerwünschte Verhalten hinzuweisen. Aber Pfote aufs Herz, das klappt nur sehr selten. Brummen und böse klingen, das klappt sofort. Aber warum interessiert euch das so?«

»Weil der Ice nix mehr hört«, sagt Halvar aufgeregt. 

»Das habe ich gehört …«, brummt es dunkel direkt hinter Halvar, der zusammenzuckt und schon wieder auf den Rücken gekullert ist. »Ich höre durchaus. Ich verstehe alles, aber ihr redet einfach manchmal zu leise.«